der Wasserträger - Homepage von Christian Greisinger

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Der Wasserträger

Ein Wasserträger in Indien hatte zwei gleich große Töpfe. Sie hingen an beiden Enden einer langen Stange, die er über dem Nacken legte. Einer der Töpfe hatte einen Riss, der andere dagegen war völlig intakt. Der heile Topf enthielt am Ende des langen Weges vom Fluss zum Haus des Herrn immer noch die gesamte Ration Wasser. Der Topf mit dem Sprung dagegen kam immer nur halbvoll an. Zwei Jahre lang brachte der Wasserträger seinem Herren nur anderthalb Töpfe Wasser.
Der heile Topf war stolz auf seine Leistung, denn er erfüllte genau den Zweck, zu dem er gemacht worden war. Der beschädigte Topf jedoch schämte sich für seine Unvollkommenheit, weil er nur die Hälfte von dem listete, wofür er gedacht war.
Nach dem zweiten Jahr, sprach der unglückliche Topf eines Tages den Wasserträger am Fluss an: "Ich schäme mich und möchte mich bei dir entschuldigen". "Warum?", fragte der Wasserträger. "Wofür schämst du dich denn?". "Ich habe die vergangenen beiden Jahre immer nur die Hälfte meines Inhalts abliefern können, weil auf dem Weg vom Fluss zum Haus deines Herrn immer die Hälfte des Wassers aus mir heraustropft. Wegen dieses Mangels mußt du viel mehr arbeiten und bekommst noch nicht mal den vollen Gegenwert für deine Mühe", sagte der Topf.
Dem Wasserträger entgegnete ihm: "Wenn wir gleich zum Haus des Herrn zurückgehen, möchte ich, daß du einmal auf die wunderschönen Blumen am Wegrand achtest." Und tatsächlich, als sie den Hügel hinaufgingen, bemerkte der Topf die wunderschönen Blumen am Wegesrand, die bunt in der Sonne leuchten, und das heiterte ihn wieder ein wenig auf. Aber am Ende des Pfades fühlte er sich immer noch schlecht, weil wieder die Hälfte seines Inhaltes verloren gegangen war, und deshalb entschuldigte er sich abermals bei dem Wasserträger.
Der Träger sagte zu dem Topf: "Ist dir aufgefallen, daß nur an deiner Seite des Weges Blumen wachsen, auf der anderen Seite, wo der heile Topf hängt, aber nicht? Das liegt daran, daß ich immer um deinen Mangel gewußt und ihn für meine Zwecke genutzt habe. Ich habe nämlich an deiner Seite des Weges Blumen gesät, und du hast sie jeden Tag, wenn wir den Weg zurück vom Fluss zurück zum Haus des Herrn gegangen sind, gegossen. Schon seit zwei Jahren kann ich jetzt wunderschöne Blumen pflücken, um den Tisch meines Herrn damit zu schmücken. Wenn du nicht genau so wärst, wie du bist, wäre mein Leben nicht so schön bunt und sein Haus wäre nicht so schön geschmückt."
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